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Texte Viktor Kirchmeier
Vom Tod und Leben in der Gegenwart "Wenn Sie auf einem Trip nie gestorben sind, haben Sie das Geld umsonst ausgegeben" - so der alte Poseur Timothy Leary. Sein allerletzter Trip hat einiges mehr gekostet, als ein herkömmliches LSD-Blättchen, dafür ging es tatsächlich ab in den Himmel. "Man kann keinen Gipfel der Ekstase für ewig erklimmen", - diesen tragischen Schluß mußte auch Leary ziehen. Heute umkreisen seine sterblichen Reste die Erde in einem Urnensatellit. Der drogenbeflissene Professor und Lebenskünstler realisierte seinen Tod und die postmortale Existenz als eine Pose. Er gab vor Dutzendtausenden Augenzeugen den Geist auf - in einer Internet-Liveschaltung und vermachte, daß die Kapsel mit seiner Asche weit über die Wolken geschossen wurde. "Wo die Freiheit so grenzenlos" scheint. Hollywood verpackt die letzte Pose in eine coole Schale. Sie wird in einigen Streifen inbegrifflich visualisiert. Im Blockbuster "Deep Impact" sieht man im Moment der Katastrophe Vater und Tochter am Strand vor New York. Die Kamera zeigt die Großaufnahmen ihrer Gesichter und dann die Riesenwelle, die gleich die ganze Stadt wegspülen wird. Die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck der Helden erinnern an sowjetische, oder chinesische Propagandaplakate. Diese modernistischen Kommunikationsmedien appellierten an die Vaterlandsliebe und den Heroismus des Volkes. Bloß den Helden des "Deep Impact" glaubt man das nicht so ganz. Der Heroismus ihrer Pose ist schön, aber - lediglich eine Verpackung. Der Inhalt ist mit dem der warholschen "Brillobox" identisch. Anders im fatalen "10 kleine Negerlein"-Szenario des Films "Brother" von Takeshi Kitano. En ganzer Klan japanischer Gangster wird ausgelöscht, der Pflicht und dem Ehrenkodex verbunden. Die Jakudsas scheinen dem eigenen Leben keinen Wert zuzuschreiben und kommen nicht mal in die Verlegenheit, die Pfründe zu sichern. Diese Todesakzeptanz ist cool, aber im Sinne der kulturellen Zulassung eines Antihelden irgendwie moralisch. Der westliche Betrachter, der sich an Sinnlosigkeit als Norm gewöhnt hat, wird von dieser Geschichte durch ihren gnadenlosen Modernismus schockiert. Ehre, Tradition, Familie, Pflicht sind auf einmal keine leeren Worte. Aus unserer Sicht ist der Tod der Jakudsas irrational, aber verdammt echt. Tradition befestigt, die Pose wird durch Inhalte gestärkt. Im Allgemeinen ist die Suche nach Freiheit und Sinn eine erbärmliche Angelegenheit. In der Moderne gab es zwei grundsätzliche Strategien des Überlebens. Durch den naiven Glauben - ohne wenn und aber - das Reich Gottes zu betreten, oder dem Gott den Rücken zu kehren und die Freiheit des Selbst zu genießen. Also, den Weg der Askese, oder den Weg der Apostasie. Wählt man den zweiten Weg, kommt man in grausamen Kämpfen mit sich selbst und den Weggefährten nicht an dem verflixten Karamasowthema vorbei. "Weltharmonie. Und was nun?". Die Kultur des 20. Jahrhunderts erreichte diesbezüglich das Endstadium an Fatalität. Man vertrieb sich die Zeit mit "stinklangweiligen Geschichten über Leben und Tod", so der schreibend-sterbende Malone von Samuel Becket. Dagegen zeigt die destruktive Programmatik der späten Kunstavantgarde oft eine revolutionäre Intenz. Antonin Artaud erklärte die Notwendigkeit des Bösen zum Ziel und Ende aller Kunst. Sein "Theater der Grausamkeit" strebte durch antiintellektuelle Wut und präkulturelle Opferriten die Entfremdung in der Kultur zu überwinden. Brus, Nitsch und Schwarzkogler durch eine Mischung aus Selbstdestruktion und mystisch-morbidem Schlachthof-Cabaret rütteln auf und stellen grundsätzliche Fragen. Die ultimative Konsequenz aus dem programmatischen Imperativ: "Kunst oder Tod" zog Ralf Schwarzkogler, der sich in seiner letzten "Aktion" 1969 aus dem Fenster seiner Wohnung stürzt und stirbt. Auch Andy Warhol hat erkannt, daß "alles was er tut, mit dem Tod zu tun hat". Viele seiner Bildserien befaßten sich tatsächlich mit Selbstmorden, schweren Unfällen, oder dem Todesstuhl. Seine Porträts bildeten entweder verstorbene Stars ab - Marilyn Monroe, oder schwer kranke - Liz Taylor. Selber träumte der Künstler davon, nach dem Tod als Ware weiterzuleben. Die Reinkarnation als Diamantenring an Liz Taylors Finger dämmerte ihm vor. Die edlen Rohstoffe erreichten so in seiner Phantasie durch ihre Haltbarkeit einen metaphysischen Wert. Toter Warhol als Diamantenring - ein Gipfel der Selbststilisierung? Heute bietet Doktor Gunther von Hagens allen Sterblichen die postmortale Perspektive als Replik eines bekannten Kunstwerks, in seiner Plastinatensammlung für Jahrtausende zu erstarren. Dieses Angebot mutet fast wie eine avangardistische Geste an. Es scheint die Differenz zwischen dem menschlichen Prototypen und dem originellen Kunstwerk aufzuheben. Bazon Brock verglich diese Geste mit dem "Save"-Prinzip des Computers. Obwohl, ein Plastinat ist sogar besser, als eine CD-ROM. Wer weiß, ob diese Datenträger in 10 Jahren noch lesbar sind, dabei bleibt ein Plastinat nachweislich 50 Tausend Jahre formecht und fäulnissicher. Im Allgemeinen zeigen die künstlerischen Gesten, die den Tod thematisieren, die Grenze des poststrukturalistischen Spiels der Zeichen, das unendlich gilt. Der Tod, die Endlichkeit ist die fundamentale Grenze, der Rest ist Glauben. Und der ist heute eine Mangelware. Die Verdrängung des Todes aus dem kollektiven Bewußtsein erreicht in der Postmoderne den Höhepunkt. Der Tod wird zur Sache der Ärzte, Bestattungsunternehmen und Versicherungen. Der Begleiter der postmodernen Umwälzungen in der Soziologie - Jean Baudrillard - schildert die ganze Geschichte der Menschheit als die Geschichte der Verdrängung des Todes aus dem sozialen System. Wurde in den 60-ern in der Kunst noch mit den Restbeständen der Metaphysik kokettiert, so wird in den 80-ern der letzte Schatten der Metaphysik gnadenlos ausgelöscht. Warenverkehr und Kommunikation werden zur bedeutungslosen Simulation des Metaphysischen. Der Tod des Menschen, wie ihn Foucault in der "Ordnung der Dinge postulierte: "Der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", leitete das postmoderne Denken und Wirken in eine Sackgasse. Die Verabschiedung des neuzeitlichen Subjekts bringt den doch so antiautoritären und fortschrittlichen Philosophen nicht ganz unbegründete Vorwürfe, sie sind nicht nur hoffnungslos realitätsfern und irrational, sondern auch menschenfeindlich. Wovon sollten wir in diesen Zeiten nicht alles Abschied nehmen? Jeder traditionelle zentrale Begriff wurde dekonstruiert und aufgegeben. Wozu noch Worte und Musik? Die Apophase, das Schweigen, wäre doch so schön! Wozu eigene Kunstwerke schaffen, wenn man doch fremde appropriieren oder zitiern kann? Der Künstler erscheint im Sinne dieses Diskurses als Dieb und Fälscher und sein Werk als ein Fake. Die zentrale Gedankenfigur der Moderne, das descartsche Subjekt verschwand, oder verweigerte sich dem Anderen. Das Objekt war auch nicht mehr so zugegen. Dem Subjekt in der Rolle der Wunschmaschine war es ja piepegal worauf es seine diffusen Wünsche richtet. Der Autor verstarb relativ schnell und schmerzlos. Der Anspruch, ein Autor zu sein, bedeutete fortan lediglich, sich der Macht der Diskurse zu bemächtigen. Der Glaube an die Diskurse siechte auch dahin, weil das große Narrativ in zahllose privaten Sprachspiele zerfallen war. Das Denken und das Fortpflanzen waren spätestens seit Derridas "Grammatologie" zu höchst zweifelhaften Kategorien verkommen. Im Raum der postmodernen Poetik war alles Text und dekonstruierte sich so gut wie von alleine. Die symbolische Ordnung wurde ins Museum verbannt. Diealektik verwandelte sich in eine Jein-Quasilogik. Die Logik wurde durch Rhetorik ersetzt. Was übrig blieb war ein negativer Sinn ohne ein Leitsystem. Würde das Programm der Postmoderne vollständig ausgeführt, hätte es auch den Tod der Kultur bedeutet. Die endgültige Apophase. Dazu reichte es, Gott sei Dank, nicht. Ohne den Menschen erschien die Welt in den postmodernen Denkkonstrukten, sei es ein Rhizom, ein Spiel der Differenzen, oder eine neue Unsterblichkeit, die in einem Netz elementärer biologischer Einheiten erreicht wird, als ein amorpher und loser Verband. In der Philosophie bedeutete das Zurück zu klassischen Problemen zunächst eine Absage an das Philosophieren, das sich in solch eine schmachvolle Lage brachte. Das Subjekt mußte wieder denkbar werden und die Sprache dafür gefunden. In welcher Situation findet sich der Mensch wieder? Wie übt er nun das Sterben? Die poststrukturalistische Philosophie interessiert sich für die impersonalen Kräfte, für die Momente und Levels, wo die menschliche Entscheidung nicht mehr bestimmend ist. Sie glaubt, daß die Kräfte des Seins nicht unter Kontrolle zu kriegen sind. Der Mensch könne nicht das Feld seiner Wahl kontrollieren. Neue Technologien und die Genetik postulieren den Beginn der posthumanen Ära. Es heißt, mit dem Klonen der Menschen hört die Geschichte auf, weil der authentische Mensch nicht mehr da ist. Die Technik ist zweifelsohne ein schlaues Tier, aber das menschliche Bewußtsein ist anders. Es ist anzunehmen, daß auch der geklonte und genetisch veränderte Mensch sterblich sein wird, Angst, Neid und Lust empfindet. Damit die Geschichte und die Philosophie vorbei ist, müßte der Mensch durch Maschinen ersetzt werden. Um dieses Thema kreist der Film "Matrix". Diese "neurokybernetische Totalsimulation mit explizit demonstrierter Unglaubwürdigkeit" führte zu hochkarätigen wissenschaftlichen Symposien, und bewegte Boris Groys "über den Tod der Philosophie" nachzudenken. "Matrix" gibt Antwort auf den metaphysischen Verdacht, der trotz der Abschaffung von metaphysischen Konstrukten bestehen bleibt, den Verdacht, daß "hinter der sichtbaren Oberfläche der Welt sich etwas Geheimnisvolles verbirgt, das uns sowohl bedrohen wie auch retten könne". Neo - der posthumane Held und Heiland? Irgendwie bleibt der Verdacht allgegenwärtig, Reste an Metaphysik sind im Zustand der Spätmoderne nicht zu eliminieren. Mit der kulturellen Relevanz der Frage nach dem Menschen und seinen Existenzformen beschäftigen sich Schriftsteller (Michel Houellebecq) und Philosophen (Peter Sloterdijk). Das Leben präsentiert sich als eine Serie von Komponenten, die man auf verschiedene Weisen zusammensetzt. Es erweist sich als ein offensichtliches Experiment, ein Projekt. Es werden neue "coole" Überlebenstechniken entwickelt, dem Temperament und der Ästhetik der glatten und kühlen High-Tech Welt entsprechend. Willem Flusser beschreibt Menschwerdung "vom Subjekt zum Projekt" in dieser Situation. Sein Ansatz impliziert das gestalterische Potential dieser Metamorphose. Das Lebens- und Todesdesign wird zum wichtigen ästhetischen Phänomen. Das Bild der Welt ist verwischt, sowie die Grenzen der sinngebenden Konstrukte. Der Sinn bleibt im Projekt und in der Dynamik. Die Welt wird durch Technik und die Kraft, die mit Schnelligkeit zu identifizieren ist bestimmt. Der Sieg über die Zeit, die Erfindung des Echten ist vorbei, die Möglichkeiten sind alle aufgezählt, es bleibt nur damit zu manipulieren. Heute spricht man in der westlichen Philosophie von einer "anthropologischen Wende". Die Natur des Menschen als Philosoph wird hinterfragt. In der Kunst ist die Rede von der neuen Aufrichtigkeit, neuen Sensualität, Offenheit, Kommunikation. Der Künstler erscheint wieder in einer modernistischen Perspektive. Er sucht nach dem richtigen Leben und authentischer Kunst, inmitten einer verlorenen Welt der Simulationen und Konventionen. Die Lebenstechniken werden vor neue Herausforderungen gestellt. Wodurch unterscheidet sich die neue Aufrichtigkeit von der alten? Dort wo der Künstler der Moderne aufrichtig war ohne seinen Willen, ist der Künstler der 2. Moderne aufrichtig in seinem Willen durch seine Kunst die Impulse des Unbewußten zu erleben. Es ist keine Naivität, sondern eine innere Intenz, ein reines, pures Wünschen, unmittelbare Reaktion des Körpers. Als Kriterium der neuen Aufrichtigkeit sind Vertrauen und Aufmerksamkeit zu nennen, ein furchtloses Erleben von Schmerz, Angst oder Freude. Das Kunstwerk repräsentiert nicht mehr den Künstler, es realisiert seinen Wunsch. Es ist nicht durch Ideologie, Bestellung, oder Politik bestimmt. Durch die Aufrichtigkeit des Körpers offenbart sich die Wahrheit. Die Wahrheit und Freiheit werden klein geträumt. Ernüchtert gelangt der Künstler der 2. Moderne zur Illusion zurück, die Fiktion mit ästhetischen Mitteln zu überwinden. Weder Beuys, noch Warhol haben alle Menschen zu Künstlern gemacht und die Welt zu einem Kunstwerk. Der Balanceakt zwischen ästhetischer Autonomie und Leben geht weiter. Die künstlerische Praxis mag ein zielloser auf sich gerichteter Prozess sein, ist aber immerhin eine Investition in die Berühmtheit, die vielleicht zur ewigen Gegenwart in der Erinnerung führt. Also, es bleibt noch einiges zu tun. Und es bestehen Chancen berühmt zu werden. Der Held von heute ist ein berühmter Mensch. Ob Herostrat, oder Warhol. Die Erinnerung - die Erkenntlichkeit der Allgemeinheit macht das Verwesliche unvergänglich, das Vergängliche - ewigwährend. Sie läßt Menschen selbstlos schaffen und würdig leben. Bei Wittgenstein im "Tractatus logico-philosophicus" lesen wir: "Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Geschichtsfeld grenzenlos ist." (P.S. Also, liebe Künstler, hört auf Euren Körper, werdet berühmt, bleibt gegenwärtig.) Viktor Kirchmeier, April 2001 Baudrillard, Jean "Der symbolische Tausch und der Tod", München, 1982 Baudrillard, Jean "Das Andere Selbst", Wien, 1994 Becker, E. "Die Überwindung der Todesfurcht", Olten, 1985 Brock, Bazon "Die Macht des Alters", Katalog, 1999 Foucault, Michel "Die Ordnung der Dinge", Frankfurt, 1971 Groys, Boris "Derrida- Lektüre entscheidet über Leben und Tod", in "Schnitt", das Filmmagazin, Nr. 15, 1999 Groys, Boris "Die Verfilmung der Philosophie" in "Schnitt", das Filmmagazin, Nr. 17, 2000 Merleau-Ponty, Maurice "Sinn und Nicht-Sinn", München, 2000 "Moscow Art Magazin" Nr. 28/29 und 30/31, Moskau, 2000 Münker, S./Roesler, A. Poststrukturalismus, Stuttgart/Weimar, 2000 Poschardt, Ulf "Cool", Frankfurt/M., 2000 Smirnov, Igor "Homo homini philosophus...", St. Petersburg, 1999 Testcard, "Pop und Destruktion", Nr. 1, September 1995 Virilio, Paul "Die Eroberung des Körpers", 1996, Frankfurt/M. Wittgenstein, L. "Tractatus logico-philosophicus", 1921