MºAºIºS

Aktuell

Ausstellungen

Künstlerliste

Kontakte

Schutzraum

§


 

MºAºIºS I

DIE FREUNDSCHAFTSART

"Uns interessieren immer weniger die Bilder an der Wand oder am Bildschirm..."
Wir wollen keine Fenster mehr, durch die wir hindurchschauen, wir wollen Türen, durch die wir in Welten eintreten können. Wir wollen Wirklichkeit, also nicht nur auf uns wirkende Bilder, sondern auch solche, auf die wir einwirken können.
Florian Rötzer

Aus der Soziologie weiß man, dass Freundschaft die einzige Art sozialer Beziehung ist, die weder durch landsmannschaftliche, noch durch familiäre oder erotische Bindungen und Sympathien bestimmt wird. Gibt es ein gemeinsames Ziel, so nimmt auch die Freundschaft unter Künstlern die Form eines gemeinsamen Projekts an. Präzedenzfälle gab es oft auch in den jüngsten Zeiten der Tristesse und allgemeinen Kunstverdrossenheit. Einen Versuch, freundschaftliche Beziehungen als Alternative zum geordneten Kunstbetrieb zu gestalten und zu institutionalisieren, startete vor ca. 2 Jahren die Künstlergruppe M°A°I°S: Malerei°Aktion°Installation°Skulptur. Die Kommunikation in der Community entstand nicht sofort, und schon gar nicht durch formale, reglementierte Rituale. Es dauerte seine Zeit bis die Teilnehmer in alltäglichen Treffen und Gesprächen langsam einen gemeinsamen Rhythmus herausfanden. Die erste Ausstellung im Kölner Hochbunker bot Übersicht über das Werk von 69 Künstlern aus zwei Dutzend Ländern und verschiedenen Teilen Deutschlands, die diese Artsozietät gegründet haben. Dem Konzept entsprechend, hielten sich Installationen, Malerei und Objekte die Waage, vom abwechslungsreichen einhergehenden Rahmenprogramm begleitet: Filmvorführungen, Aktionen, Performances und Gedankenaustausch gehörten dazu. Die Aktionswochen im Kölner Hochbunker sind der Anfang einer Reihe von Projekten, so die Veranstalter, die demnächst auch in Berlin, Havanna, Danzig oder Porto stattfinden sollen. Offenheit, Kommunikation und Netzwerkartiger Austausch, so die Organisatoren - das Künstlerpaar Torsten und Nina Römer, sind die leitenden Motive dieser Künstlerinitiative. Sich den diskriminierenden Verhältnissen in der internationalen Artszene zu widersetzen ein weiterer Gedanke. Dieses internationale Artsystem repräsentiert ein funktionales kulturelles Modell des vorherrschenden neo-liberalen politischen Systems, und ist zugleich ihr Bestandteil. Die Ideologie und Arbeitsformeln dieses Systems werden von einer intakten "Industrie der Diskurse" geliefert. Diese stellt keine selbstständige Disziplin dar, wird aber von Kritikern, Kuratoren, Fachzeitschriften etc. mit politischen, soziologischen, philosophischen und ästhetischen Inhalten gespeist. Dieses System integriert und adaptiert für seine Zwecke die interessantesten Ideen der zeitgenössischen Denker und gebärdet sich neo-kolonialistisch gegenüber den Artsituationen in Ländern und Regionen, die ausgeschlossen bleiben. Künstler und Diskurse aus diesen Ländern werden meist pauschal im Zuge der nächstfolgenden Modewelle abgehandelt. Die Integration der "auswärtigen" Diskurse ist ein äußerst schwieriger Prozess, für verstärkte Repräsentation dieser Kunst zu sorgen, ist jedoch eine Aufgabe, der sich auch inter- und transnationale Artprojekte und Künstlergruppen wie M°A°I°S widmen können. Die Globalisierung macht die Aufgabe Dialoge und mehrstimmige Gespräche zu führen, persönlich Grenzen zu erforschen und ihre Relativität subjektiv zu erfahren besonders aktuell.

In einer Situation, in der die Produktion und Rezeption von aktueller Kunst zur Routine wurde, steht die Kunst nicht mehr im Mittelpunkt wie noch vor 20-30 Jahren. Aber dort wo sich die Kunst befindet und funktioniert finden Prozesse statt, die um einen möglichen Mittelpunkt kreisen. M°A°I°S ist so ein Mittelpunkt. Der durch Bilderflut irritierte aufgeklärte kritische Geist lässt sich nicht so einfach ins Staunen und Entzücken versetzen. Sämtliche Palette extravaganter Schritte inklusive völligen Sprach- und Mittelverzichts ist erschöpft. Die verstärkte Akzeptanz von neuen Medien hat die Situation nachhaltig beeinflusst und die Gewichte verschoben. Kino, Video, Computerspiele und Fernsehen erschwerten den Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit und strahlen zunehmend in andere Künste aus. Die heutige junge Generation von Künstlern befindet sich in einer verzweifelten Lage, in der neue Zeichen zu schaffen und mit Zeichensystemen zu operieren unmöglich wurde. Man bewegt sich auf dem flüssigen Terrain der Post-post-avantgarde, verarbeitet mal kritisch, mal ironisch das Erbe der unzähligen Ismen, appropriert, kopiert, improvisiert, schafft eigene Remixe und Versionen, oder malt einfach wieder Bilder. So kann auch die allgemeine Frustration die Quelle einer neuen Ontologie bedeuten. Seitdem keiner mehr den Triumph der Postmoderne bestreitet, zeichnet sich langsam ein Ende dekonstruktivistischer Strategien ab, konstruktive, offene und ernste Arbeit, ohne Ironie wird wieder möglich. Diskursfähigkeit wird nicht mehr mit Überlebensfähigkeit im harten Kunstmilieu gleichgesetzt. Der allgemeine Diskurs über Simulation und Identität zwischen Original und Kopie scheint erschöpft. Am Ende des Jahrhunderts gelangen wir wieder zur Illusion zurück, die Illusion mit ästhetischen Mitteln zu überwinden. Obwohl die Balance zwischen ästhetischer Autonomie und einer geforderten Identität mit dem Leben nach wie vor als schwierigste Aufgabe bestehen bleibt, es kommen wieder Kunstwerke, ob Bilder, ob Videos, ob Kinofilme, die ihren Autor in einer modernistischen Position erkennen lassen. Als einen leidenden und verzweifelten, nach dem Wahren und nach Sinn strebenden Künstler. Gerade in dieser Phase, die von Kunsthistorikern oft als "Zweite Moderne" bezeichnet wird, bieten demokratische, dem Anderen und Fremden gegenüber offene, transnationale Projekte, Möglichkeiten ethische und künstlerische Werte zu retten.

Die Künstlergruppe M°A°I°S ähnelt einer offenen dezentrierten rhizomatischen Struktur: die künstlerischen Positionen und Biografien kreuzen, laufen parallel, befruchten sich, oder haben wenig miteinander zu tun. Das Projekt überzeugte, wie untauglich die Kriterien eines "nationalen Diskurses" in aktueller Kunst geworden sind. Deutsch war de jure lediglich das Territorium auf dem sich der Ausstellungsort befindet. Die Inter- und Transnationalität der Künstler spiegelte die Situation großer Zentren Europas und bewies, dass die Grenzen in Europa und in der Welt heute anders verlaufen, und auch hier nicht in binären Oppositionen "Ost-West", "Nord-Süd" gedacht und operiert werden kann. Die zunehmende Schwierigkeit einen Künstler und sein Werk nach seiner ethnischen oder staatlichen Zugehörigkeit zu definieren zeigte, wie stark sich die nationalen Diskurse im letzten Jahrzehnt Dekonstruktionen unterzogen. Was relevant erscheint, bleibt irgendwo zwischen den individuellen Problemen des Künstlers und der globalen Situation hängen.

Zum Emblem ihres Projekts wählten die Künstler die grafische Darstellung eines aus den Blättern gepellten Maiskolbens. Dieser erinnerte durchaus an die berühmten Bananen der neuesten Kunstgeschichte, war aber vielmehr als ein antidotisches Gemüse zum Symbol von Konsum und Kommerz gedacht. Ein ganzes aus vielen kleinen Segmenten, dicht beieinander und zusammengeschlossen, so ließe sich in Anlehnung an die Struktur eines Maiskolbens das Artgefüge beschreiben. Der Mais ist bekanntlich eine durchaus nützliche und kultische Pflanze, die in verschiedenen Kulturen und geschichtlichen Epochen zum Symbol der Sonne und zur Utopie des Wohlstands wurde. In ihrem Ursprungsland Mexiko beteten die Azteken gleichzeitig zwei Maisgottheiten an: die weibliche "Siebenschlangengöttin" Chicomecoatl und den männlichen Maisgott Cinteotl. Einige Jahrhunderte später (1933) schmückte Salvador Dali mit zwei durch trockene Blätter gebundenen Maiskolben seine berühmte Plastik "Retrospektive Büste", eine Art "Utopie des westlichen Traums", die heute in New York im Museum of Modern Art bewundert werden kann. Zwei Jahrzehnte später erkor der sowjetische Politiker Nikita Chruschtschow die Maispflanze - "Königin der Felder" - zur Retterin der sozialistischen Landwirtschaft. Selbst auf sibirischen Ackern ertragreich, so Chrustschow, sollte die neue Kultur den Sieg im ökonomischen Wettstreit mit den USA näher rücken, und verkörperte somit eine der letzten Utopien des entwickelten Sozialismus.

Selbstverständlich zahlten die M°A°I°S Künstler und Gäste der Ausstellung im Hochbunker Tribut dem ruhmreichen Patengemüse, der Genuss von gekochten Maiskolben und lockerem Popcorn war ein Teil des Programms und forderte den alltäglichen Prozess der Kommunikation.

Der Ort der Schau und Aktion wirkte in seiner architektonischen Beschaffenheit recht selbstgenügend, fast ein Gesamtkunstwerk: Betonmauern mit Spuren von Feuchtigkeit und Schimmel, schwache Beleuchtung, muffige Luft eines Burgverlieses, Seitengänge, Treppen und der Keller. Die unterschiedlichen künstlerischen Aussagen flossen ineinander über und füllten in lebendiger Unübersichtlichkeit die Räumlichkeiten des Hochbunkers als Emulgator eines speziellen M°A°I°S-Braus. Im großen und ganzen ließen die "Maisler" den "Genius loci" und den historischen Kontext ruhen, und arbeiteten bevorzugt mit dem Raum und seinen architektonischen Besonderheiten. Einige der Projektteilnehmer konzipierten ihre Arbeiten speziell für bestimmte Räume des Bunkers. Ansonsten fehlte ein programmatisches Thema, da M°A°I°S nicht ins Leben gerufen war, um herrschende Diskurse und intellektuelle Moden zu bedienen. Man sah sehr disparate und kontrastierende Kunst, mal raumbezogen, manchmal recht offen formuliert. Man merkte, daß bestimmte vertraute Formen noch lange nicht obsolet sind, mit denen werden wir immer wieder zu tun haben. Die Palette der Medien reichte von Malerei, Fotografie und Video bis zu Installationen, Skulptur, Zeichnung und Grafik. Die einzelnen Positionen kippten zwischen Kommunikationsgedanken und Beschäftigung mit der "Neuen Körperlichkeit", Zen-Reduktion und Lyrik, Neo-Ästhetizismus und Objektkunst, flippiger Malerei und Raumwahrnehmungsstudien. Recht bewundernswert ist die kuratorische Leistung und das Engagement des Künstlerpaares Römer, die fast 6 Dutzend höchst beweglicher und chaotischer Kunstschaffender um sich scharten. Obwohl gerade die Rolle des Kurators, der im neumodischen Sinne keine Kunstausstellungen, sondern Ausstellungen über Kunst macht, wo die ausgestellten Sachen seine Ideen ergänzen, wurde ignoriert. M°A°I°S versuchte sich von Hierarchien und funktioneller Spezialisierung zu befreien. Die M°A°I°S Community aller "Bananisierung" der Kunst zu trotz, bat keine unstrittigen und abgeschlossenen Urteile. Das Projekt öffnete Möglichkeiten für Künstler, bat ein Forum für transnationale Diskussionen, zeigte die Formalität der politischen und ethnischen Grenzen in einer sich globalisierenden Welt, und es bleibt zu hoffen, diese Gemeinschaft wird nicht in ein monotones Fließband degradieren, weil der Abschluss jeder gemeinsamen Aktion bedeutet auch ein baldiges Wiedersehen?

Viktor Kirchmeier, Köln, den 19.05.2000

In diesem Text fanden Verwendung einzelne Gedanken aus dem Artikel von Boris Groys "Derrida-Lektüre entscheidet über Leben und Tod" (SCHNITT Nr. 15, 3/99), und dem Brief "Power & Culture" von Alexander Brener & Barbara Schurz an die FLASH ART-Redaktion (N° 212, Mai/Juni 2000).

 
Galerie
Künstlerliste
Text Viktor Kirchmeier Robin Brouwers,
Events (Programmheft)