Im Innenstadtbereich Berlins liegen bis zu 40 Prozent
der Bauwerte, der Summe also, die es gekostet hat, die Stadt so
zu bauen, wie wir sie heute vorfinden, unter der Oberfläche.
Einen großen Teil davon machen Verkehrsbauwerke, insbesondere
die Berliner U-Bahn aus, aber auch eine Vielzahl von Relikten aus
der Zeit des Nationalsozialismus, darunter Bunker- und Luftschutzanlagen,
lassen sich noch heute immer wieder entdecken.
Zu einem der größten Tiefbunker unter der Stadt zählte
im Zweiten Weltkrieg die Schutzanlage unter dem Alexanderplatz.
Sie wurde von 1941-43 im Auftrag der Deutschen Reichsbahn von der
Firma Philipp Holzmann erbaut. Im Rahmen eines besonderen Programms
sollten alle Berliner Bahnhöfe mit großen Schutzanlagen
ausgestattet werden, um vor allem Reisende zu den Hauptverkehrszeiten
im Falle eines Angriffs schnell und bombensicher unterbringen zu
können.
Wie so oft jedoch, ist im Untergrund die Geschichte verwobener und
komplizierter, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Oft überlagern
sich die verschiedenen historischen Phasen, und die Spuren von nur
teilweise realisierten Planungen und unvollendet gebliebenen Vorhaben
sind noch heute mancherorts im Untergrund nachvollziehbar.
Verkehrs- und Stadtplanungen
der 20er Jahre
Der Tiefbunker unter dem Alexanderplatz liegt
in einem riesigen Fundamentenblock, der noch aus den 20er Jahren
stammt. Bereits 1908 gab es Planungen für eine U-Bahnstrecke
vom Alexanderplatz im Verlauf der heutigen der Frankfurter Allee
nach Lichtenberg und Friedrichsfelde. Für diese Linie sind
am U-Bahnhof Klosterstraße ein Verzweigungsbauwerk und unter
dem Alexanderplatz selbst Teile eines Umsteigebahnhofs errichtet
worden. Aufgrund des Ersten Weltkriegs kam das Vorhaben jedoch zum
Erliegen. Erst Mitte der 20er Jahre wurden diese Planungen wieder
aufgegriffen. Allerdings sollten nun nicht nur unterirdisch die
Verkehrsströme neu strukturiert werden, sondern im Rahmen eines
städtebaulichen Wettbewerbes hatten die Planer unter der Ägide
von Baustadtrat Martin Wagner und seinem für Verkehr zuständigen
Kollegen und späterem Berliner Bürgermeister Ernst Reuter
vor, den ganzen Platz neu zu gestalten und den Anforderungen an
eine moderne Großstadt anzupassen.
Aus diesem Wettbewerb gingen die Architekten und Gebrüder Luckardt
als Sieger hervor, doch die Investoren lehnten ihren Entwurf ab
und entschieden sich für die Pläne des Architekten Peter
Behrens. Von Behrens stammen das 1929 bis 1932 errichtete Berolina-
und das Alexanderhaus. Diese Bauten schließen den Alexanderplatz
nach Westen hin ab und gelten als „herausragende Bauten der
Moderne“. Doch eigentlich waren beide Gebäude nur Teil
eines viel größer geplanten städtebaulichen Ensembles,
das den neu gestalteten Alexanderplatz hufeisenförmig einfassen
sollte. Auf der Ostseite des Platzes sah der Entwurf von Behrens
das eigentliche Hauptgebäude vor, einen gestreckten dreigegliederten
Bau, dessen seitliche Flügel genau dem Stil des Berolina- und
Alexanderhauses entsprochen hätten. Aus der Hauptfront aber
sollte ein streng vertikal gegliedertes turmähnliches Hochhaus
herausragen, zu vergleichen mit dem ebenfalls Ende der 20er Jahre
errichteten und Maßstäbe setzenden Kaufhausneubau von
Karstadt am Hermannplatz.
Parallel zur oberirdischen baulichen Umgestaltung des Alexanderplatzes
wurde ein weiteres Projekt in Angriff genommen – der gleichzeitige
Bau von drei U-Bahnlinien, die sich mit der bereits vorhandenen
heutigen Linie 2 kreuzen sollten. Dafür mußten ab 1927
reihenweise die vorhandenen zwei- und dreistöckigen Gebäude
des frühen 19. Jahrhunderts niedergelegt werden.
Zwei neue Strecken konnten bis 1930 in Betrieb genommen werden,
die heutigen U-Bahnlinie 5 bis nach Friedrichsfelde und die Linie
8 bis nach Gesundbrunnen. Die dritte Neubaustrecke, die von Weißensee
über den Alexander- und Potsdamer Platz nach Steglitz führen
sollte, als auch die Verlängerung der Linie 5 nach Moabit konnten
nur noch in Ansätzen fertiggestellt werden, dann setzte die
Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre allen weiteren Ausbauplänen
ein vorläufiges Ende. Zu erkennen ist dies heute noch an dem
Doppelbahnsteig der U-Bahnlinie 5 am Alexanderplatz, wo lediglich
die beiden mittig gelegenen Gleise befahren werden.
Auch der Bau des Hochhauses, dessen gewaltiges dreieckiges Fundament
auf der östlichen Platzseite bereits fertiggestellt war, mußte
zurückgestellt werden. Durch diesen Fundamentblock führten,
da baulich nicht anders lösbar, die Tunnel der U-Bahn nach
Friedrichsfelde und der geplanten Linie Weißensee-Steglitz.
Die riesige Baugrube versuchte man einige Jahre lang mit großen
Reklametafeln zu kaschieren, zur Olympiade 1936 dann schüttete
man sie einfach mit Kies und Sand zu und legte darauf erst einmal
eine Grünanlage an.
Pläne der Nationalsozialisten
und Zweiter Weltkrieg
Die Realisierung des Hochhauses von Peter Behrens
scheiterte letztendlich an den Neugestaltungsplänen der Nationalsozialisten.
Anstelle des Hochhauses war nun, in der Flucht zum Platz zurückgesetzt,
das zentrale Arbeitsamt Berlins vorgesehen, mit dessen Bau 1938
begonnen wurde. Dieses Gebäude wiederum konnte jedoch ebenfalls
nur teilweise fertiggestellt werden, da die Bauarbeiten 1940 als
„nicht kriegswichtig“ eingestellt wurden. Die fertiggestellten
Gebäudeteile als auch die Rohbauabschnitte wurden im Zusammenhang
mit den Umbauplanungen in den 60er Jahren abgebrochen.
Den durch die Zurücksetzung der Bauflucht freigewordenen Bereich
des Fundamentblocks, der 1936 verfüllt wurde, ließen
die Nationalsozialisten 1940 wieder ausheben, um hier die zweigeschossige
Bunkeranlage für etwa 3.500 Personen einzubauen. Die Deckenstärke
betrug drei, die der Wände 1,80 Meter. Die für die geplante
Linie nach Weißensee fertiggestellten Tunnelstutzen sind 70
m (der nördliche) bzw. etwa 150 m (der südliche) lang.
Sie wurden im Zweiten Weltkrieg durch den Einbau von Zwischenwänden
ebenfalls zu Luftschutzräumen umgebaut. Bahnreisende und Fahrgäste
der U-Bahn kamen hier unter, aber auch die Mitarbeiter der umliegenden
Büros und Geschäfte oder die in der Umgebung wohnende
Zivilbevölkerung. Der Einstieg zum Bunker erfolgte über
drei Zugangsbauwerke aus Stahlbeton auf dem Platz selbst. Von hier
führten Rampen zehn Meter in die Tiefe, da auf diese Weise
die Schutzsuchenden schneller in Sicherheit zu bringen waren als
über normale Treppenanlagen. Ein weiterer Schacht hat zu Kriegszeiten
den Bunker noch mit dem Tunnelstutzen der U-Bahn nach Weißensee
verbunden. Im Mai 1945, nachdem das unterirdische Verkehrssystem
durch die Sprengung des S-Bahntunnels unter dem Landwehrkanal geflutet
wurde, drang durch diesen Gang auch Wasser in die Tiefbunkeranlage
unter dem Alexanderplatz ein und flutete beide Etagen. Allerdings
handelt es sich bei dem Gerücht, es wären dabei im Bunker
hunderte von Menschen ertrunken, um eine Legende.
Nachkriegszeit und Planungen
der DDR
Nach Abpumpen des Wassers im Juni/Juli 1945 wurden
tatsächlich einige Tote aus dem Bunker als auch aus den Bahnhofsanlagen
unter dem Alexanderplatz geborgen. Es handelte sich dabei jedoch
um Personen, die bereits während der letzten Kämpfe verwundet
in die Anlagen geschafft wurden und dann hier verstorben sind, wie
Untersuchungen ergeben haben. Noch im Herbst des gleichen Jahres
dann wurden alle noch brauchbaren Teile und Materialien aus der
Bunkeranlage entfernt, um sie für den Wiederaufbau zu verwenden.
Danach geriet die Anlage in Vergessenheit.
Mit Umgestaltung des Alexanderplatzes in den 60er und 70er Jahren,
der wiederum die wenigen noch verbliebenen historischen Gebäude
zum Opfer fielen, wurde auch die Bunkeranlage baulich verändert.
Im Zusammenhang mit der Errichtung der Fußgängerunterführungen
ist geplant worden, die Anlage für den Zivilschutz wieder zu
reaktivieren. Neben einer Verbindung zum Autotunnel wurde im östlichen
Teilbereich zudem ein weiteres Geschoß auf die alte Bunkeranlage
aufgesetzt. Zwei neue Zugänge entstanden in direkter Verbindung
zum Fußgängergeschoß. Die alten Zugänge und
Rampen von der Platzoberfläche wurden zugelegt. Die Ausführungen
der Zivilverteidigung kamen zu DDR-Zeiten jedoch nicht über
das Rohbaustadium hinaus. Nicht auszuschließen ist, daß
hier eine Art Regierungsbunker geplant war, da der Bunker an einer
sogenannten Protokollstrecke lag und auch eine Verbindung zum neuen
Autotunnel unter der Grunerstraße erhielt.
Gegenwart und Zukunft
Der Fundamentblock und die Bunkeranlage sind bis
heute unterirdisch erhalten geblieben. Nach dem Fall der Mauer wurde
der Bunker für den Zivilschutz nicht mehr benötigt. Seit
Beginn der 90er Jahre, nachdem die Tiefbauveraltung des Magistrats,
die in der obersten Bunkeretage zeitweise Büros (!) und Werkstätten
unterhielt, den Bunker geräumt hat, steht die Anlage leer und
wird nicht genutzt. 1993 gab es Pläne, die Anlage für
kulturelle Zwecke zu nutzen. Ein studentischer Wettbewerb wurde
ausgeschrieben. Die Realisierung scheiterte jedoch am Konkurs des
damaligen Planungsträgers. Weitere Planungen für Diskotheken
und andere Vergnügungsstätten kamen aufgrund von zu hohem
finanziellen Aufwand nicht zustande. Mitglieder des „Berliner
Unterwelten e.V.“ haben die Anlage inzwischen neu vermessen,
Pläne erstellt und warten die Technik. Sie bieten in der geschichtsträchtigen
Anlage hin und wieder historische Führungen für Interessierte
an und haben mit ihren Fachkenntnissen nicht unerheblich zur Realisierung
des „Paradiesprojekts“ im Bunker beigetragen. In der
fernen Zukunft soll die Anlage einmal abgerissen werden, um Platz
für die Unterkellerungen von neugeplanten Hochhäusern
zu schaffen. Doch wann das einmal sein wird, ist zum gegenwärtigen
Zeitpunkt völlig unklar. Der Abbruch des Bunkers jedenfalls
wird nicht billig werden.
Dietmar Arnold, Stadtplaner und Historiker
im Februar 2004
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